Wer war Pater Caspar Wanderdrossel?

Umberto Ecos Romanfigur
Auf Seite 244 seines Bestsellers "Die Insel des vorigen Tages" läßt Umberto Eco seinen Helden Roberto entdecken, daß er nicht allein auf dem Schiff ist. Vor ihm steht Pater Caspar Wanderdrossel, der einst in Würzburg am Gymnasium Frankens, später am Kollegium Romanum Professor der Mathematik war.
Dieser Professor macht leider keine besonders gute Figur: Seine Sprache ist geschwollen; er zeigt eine unglaubliche Gelehrsamkeit, Freude am Spekulieren und einen Hang zum Experimentieren, der ihn schließlich in einer Taucherglocke tragisch enden läßt. Wer war Pater Caspar Wanderdrossel?

Kaspar Schott
Eco spielt mit dieser Figur auf Kaspar Schott an, der von 1655 bis zu seinem Tode im Jahre 1666 Mathematikprofessor an der Universität Würzburg war. Schott wurde 1608 in Königshofen im Grabfeld geboren, trat dem Jesuitenorden bei, studierte in Würzburg bei Athanasius Kircher und floh mit ihm im dreißigjährigen Krieg vor den anrückenden Schweden. Er erhielt seine weitere Ausbildung in Sizilien und lehrte einige Jahre in Palermo Mathematik und Moraltheologie. Von 1652 bis 1655 arbeitete er mit Kircher zusammen in Rom und wurde dann als Professor nach Würzburg berufen.

Schott verfaßte zahlreiche sehr umfangreiche Werke. So stellte er in seinem "Cursus mathematicus" von 1661 auf etwa 650 Seiten die "Mathematischen Wissenschaften" enzyklopädisch dar. Dabei wird auch das kopernikanische Weltsystem behandelt. Er betont allerdings dessen hypothetischen Charakter, denn diese Lehre wurde von seiner Kirche verurteilt, weil sie der Heiligen Schrift widerspräche.

Schott experimentierte auf vielen naturwissenschaftlichen und technischen Gebieten, so führte er z. B. mit den Geräten von Otto von Guericke dessen Versuche zum Luftdruck durch. Seine 4-bändige "Magia universalis" von 1657 ist überwiegend der Physik gewidmet, seine  "Technica curiosa" von 1664 zeigt Entwicklungen der Technik. Schott gilt übrigens als Erfinder dieses Wortes.

Auf die "Technica curiosa" bezieht sich Umberto Eco. Pater Caspar Wanderdrossel berichtet z. B. Roberto von der "Specula Melitensis" ("Malteser Warte"). Dieses geheimnisvolle Instrument,  mit dessen Hilfe chronologische, astronomische und astrologische Berchnungen durchgeführt werden können, ist in der "Technica curiosa" ausführlich beschrieben. Auch die Taucherglocke entstammt diesem Werk.
An vielen Stellen seines Werkes befasst sich Schott kritisch mit parawissenschaftlichen Fragen. So stellt er Experimente mit Wünschelrutengängern an und kommt zu dem Ergebnis, dass die angeblichen Erfolge zufällig sind.

In die Geschichte der Rechenmaschinen ist Schott mit dem von ihm erfundenen "Rechenkästchen" eingegangen. Eine Nachbildung befindet sich in der Bibliothek der Fakultät für Mathematik und Informatik in Würzburg.

Schott litt unter dem Würzburger Klima und verausgabte sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten. So starb er in Würzburg im Alter von erst 58 Jahren. In der Universitätsbibliothek finden sich seine Werke, die vielleicht wissenschaftlich wenig Bahnbrechendes bringen, aber doch sehr zur Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis beigetragen haben.

Caspar Wanderdrossel
Wie kommt aber Kaspar Schott bei Eco zu seinem Namen "Wanderdrossel"?
1666 erschien von Kaspar Schott in Bamberg sein Buch "Ioco-seriora naturae et artis" ("Spaß und Ernst in Natur und Kunst"). Da Schott von seinem Orden keine Genehmigung zum Druck erhalten hatte, erschien es unter dem Pseudonym Aspasius Caramuelius.

Betrachtet man
ASPASIUS CARAMUELIUS
als Anagramm, das einen neuen Sinn erhält, wenn man die Reihenfolge der Buchstaben ändert, dann wird man versuchen, einen Bezug zu Schott herzustellen.

Eine Möglichkeit ist z. B.:

CASPARIUS AMSEL AVIUS.

Das würde sich lesen als:

"Caspar, die Amsel auf Abwegen."

Bekanntlich ist die Amsel eine Schwarzdrossel.

Ist das der Ursprung des merkwürdigen Namens Caspar Wanderdrossel, den Umberto Eco dem Jesuitenpater in seinem Buch "Die Insel des vorigen Tages" gegeben hat?